Grabkammer der Liebe

von Ulf Schleth

Claudia Reinhardt - Liebespaare

Wenn man ihn betritt, ist es nur ein Raum in einer ganz gewöhnlichen Kreuzberger Wohnung, etwa dreißig Quadratmeter groß. Beim Heraustreten hat man das Gefühl, eine Grabkammer zu verlassen. Dabei war die intime Wirkung einer Privatwohnung als Ausstellungsort für „Dødspar, Liebespaare“ der Fotokünstlerin Claudia Reinhardt gar nicht beabsichtigt, sondern ist allein dem Umstand zu verdanken, daß sie nicht mit der Ausstellung warten wollte, bis sich eine Galerie gefunden hat. Leider sind dadurch die Öffnungszeiten der Ausstellung stark begrenzt.

Claudia Reinhardt wurde 1964 in Viernheim geboren. Zu den wichtigsten Stationen ihres künstlerischen Lebens zählen ihre Arbeit als Fotoassistentin in Berlin und ihre Arbeit als freiberufliche Fotografin in Hamburg, wo sie Meisterschülerin von Bernhard Johannes Blume war. Dank eines DAAD-Studiums konnte sie 1996 ein Jahr in Los Angeles arbeiten, seit 2000 lehrte sie an der Nationalen Akademie der Künste Norwegens in Bern, wo sie ihre Professur 2012 beendete. Jetzt lebt und arbeitet sie in Berlin und Oslo.

Die Fotografien stellen die Freitode von acht Paaren dar, für jedes Paar hängen drei bis vier kleinformatige Bilder an den Wänden. Dargestellt sind die unter Verwendung von Laiendarstellern inszenierten Situationen kurz nach dem Tod in der Draufsicht und zwei bis drei Detailansichten. Durch ihr Format zwingt Reinhardt den Betrachter, näher an das Bild heranzutreten, wie an ein Fenster in die Vergangenheit und sich in die dargestellte Situation hineinziehen zu lassen. Sie läßt uns das Unbehagen derjenigen empfinden, die unmittelbar nach dem Geschehen den Ort betreten und die Toten finden.

Für die meisten der abgebildeten Paare waren gesellschaftliche oder politische Zwänge die Ursache für den Suizid. Mehrere von ihnen haben sich das Leben genommen, weil Sie den Nazis auf einem anderen Wege nicht mehr entfliehen konnten. Mit Ausnahme von Stefan und Lotte Zweig, die dem nationalstaatlichen Terror zwar entfliehen konnten, den Verlust ihrer geistigen Heimat aber nicht ertragen konnten. Michael und Monika Stahl hingegen gerieten 2005 als „erste Opfer der Hartz IV – Gesetze“ in die Schlagzeilen. Sie wählen in einem Waldstück bei Berlin den Tod durch Autoabgase, weil sie ihren sozialen Abstieg nicht ertrugen.

Bereits 2004 beschäftigte sich Claudia Reinhardt in ihrer Arbeit „Killing Me Softly“ mit dem Suizid. Damals dem von bekannten Künstlerinnen. So wie sich hinter dem Freitod einer Einzelnen das Fehlen von Liebe vermuten läßt, impliziert der Tod eines Paares deren Anwesenheit. Dazwischen ist viel Platz für Zweifel und Fragen. War es eine gemeinsame Entscheidung oder ist eine dem anderen gefolgt? Wo  genau ist der Punkt überschritten, an dem Hoffnung und die Liebe zum Leben ganz der Liebe zum Partner und dem Tod Platz macht? Können wir den Wunsch der Paare, sich vom Leben zu befreien akzeptieren oder haben wir es mit Mord am Selbst zu tun? Und welche Verantwortung tragen jene, die die auslösenden Umstände geschaffen haben?

Etwa eineinhalb Jahre hat die Arbeit an „Dødspar, Liebespaare“ bisher gedauert. Recherche, Planung, Requisite, die Suche nach geeigneten Orten. Ein Mammutprojekt, das ohne ein zweijähriges Arbeitsstipendium des „Norsk Billedkunstnerer“ nicht möglich gewesen wäre. Und das noch nicht beendet ist. Claudia Reinhardt wird wohl noch weitere Paare aufzunehmen, allen voran Gert Bastian und Petra Kelly. Dank der staatlichen Kunstförderung Norwegens ist diese beeindruckende Fotoarbeit noch an zwei weiteren Terminen in Berlin zu sehen.

Dieser Artikel erschien in am 17.5.2014 in der taz berlin.

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