Real Krimi aus der Kurve

von Ulf Schleth
Berliner Zeitung, 14.06.99: „’Ich weiß nicht, warum die uns als Treffpunkt ausgesucht haben’, sagte am Sonntag Christian Henning, Juniorchef des Eiscafés Henning in der Karl-Marx-Allee in Mitte. In seinem Café hatten sich am Sonnabend nachmittag etwa 90 polizeibekannte Hooligans aus Bremen, Potsdam und Berlin verabredet. Nach Angaben der Polizei trafen sie dort offensichtlich Absprachen für eine organisierte Schlägerei in einem nahegelegenen Wohngebiet mit Fußballfans aus München. Die Menschenmenge auf der Café-Terrasse habe bedrohlich auf ihn gewirkt, sagte Henning. ‚Weil ich nicht genug Bier da hatte, sind sie aber zum Glück bald weitergezogen.’“

Ein Zitat vom DFB-Pokalfinale zwischen Werder Bremen und Bayern München im ausverkauften Olympiastadion. Die verhinderte Schlägerei spielt eine wichtige Rolle in Andreas Rüttenauers Roman „Pokalfinale“, der soeben im Berliner Verbrecher-Verlag erschienen ist. Erstens kommt sie darin vor. Zweitens verweist das obenstehende Zitat auf ein paar zentrale Handlungskomponenten und bevorzugte Orte des Geschehens. Drittens hat dieser Zwischenfall den Stein des Anstoßes ins Rollen gebracht. An diesem Tag hat Andreas Rüttenauer beschlossen, ein Buch zu schreiben. Ein Buch über die Leute, die ihm bei jedem Stadionbesuch aufs neue das „wahnsinnige Erlebnis Fußball“ vermiesen. Gott sei’s gedankt.

Rüttenauer, ein aus München nach Berlin emigrierter Kabarettist und Sportjournalist, hat mit „Pokalfinale“ so ganz nebenbei ein Buch geschrieben, das mitreißt wie ein Krimi von James Ellroy, realistisch ist wie ein echter Bukowski und gleichzeitig politisch wertvoll wie ein Hanif Kureishi. Wir begleiten eine Handvoll junger Deutscher, die sowohl aus der ostdeutschen als auch aus der bayerischen oder sonstigen Provinz stammen könnten – eigentlich muß es nicht einmal Provinz sein, wenn man sich so umsieht. Ihr Leben spielt sich ab zwischen Fußball, Bier trinken, Sex (vorzugsweise nicht mit der eigenen Frau) und der Vertreibung alles Fremden, ‚nicht-arischen’ aus ihrer kleinen überschaubaren deutschen Welt.

Junge Männer, bei denen sich vereinzelt schon ein erster Bauchansatz zeigt, die meisten mit Abitur, die gerne sein wollen wie Proleten und es deshalb auch sind. Ihre Statussymbole sind Autos, das allgemeine Schluckvermögen und jede Menge Muskeln. Mit vereinten Kräften schaffen sie es, ihre nähere Umgebung weitgehend von allem freizuhalten, was ihnen schädlich erscheint: „Direkt an der Bundesstraße, beim ersten Ortsschild, das war ihr Zuhause. Wer von außen kommt, soll gleich sehen, was Sache ist in ihrem Ort. Kampfansage an die Zecken, die sollen sich nur trauen, aber die sind doch nur feige. Vielleicht treibt eines Tages ja der Zufall eine Zecke auf den Parkplatz. Das wünschen sich nicht wenige, denn außer Alk läuft nicht viel an der Bundesstraße.“

Nazis sind sie alle. Ihre Helden sind die Hooligan-Schränke und Glatzen aus der Kurve im Stadion. Aber da zeichnet sich noch ein anderes Ideal ab: „Der Bruder“, er ist ihnen in allem immer einen Schritt voraus und verdient deshalb ihre Bewunderung. Er ist fit, er hat es drauf und er kann sogar reden. Sie fühlen sich in höchste Höhen emporgehoben, als der Bruder sie an einer Aktion zum Wohle der Volksgemeinschaft teilnehmen läßt: Die Bomberjacken, ihre Freundinnen und ein paar Parteimitglieder pflanzen Bäume in der Neubausiedlung. Was für ein Spaß. Sieh sich einer die erschrockenen Journalistenfressen an. Ist ja klar. Wo Potential ist, ist auch jemand, der es politisch instrumentalisiert.

Die meisten haben schon Frauen. Frauen sind auf eine gewisse Art Menschen zweiter Klasse; ähnlich wie Ausländer und Zecken, aber irgendwie auch anders, man braucht sie und hat sogar ein bißchen Angst vor ihnen. Der eine oder andere empfindet aufkeimende Gefühle für eine Frau. Das aber sollte man nicht an die allzu große Glocke hängen. Denn dann bekommt man die Realität gleich um die Ohren gehauen. Daß das mit der Liebe nur Stuß ist. Warte bis das erste Balg da ist und Du wirst schon sehen. Danach zicken die nur noch rum. Dann werden die Frauen zu den Parasiten daheim, aber sie haben Macht. Wer geschickt ist, macht ihnen Geschenke um sie zu besänftigen. Außerdem kümmern sie sich um den Erhalt der eigenen Rasse, dafür sind sie zu gebrauchen.

Mit dem Sex sieht es da ganz anders aus: Die Urlaubsbilder aus Cuba zeigen es. Geile Negerbräute, die für wenig Geld zu haben sind. Da haben sie es ganz wild getrieben. Und auch im Freibad werden mal die Ausländerinnen mitgezählt, wenn ein paar gut gebaute dabei sind. Das erhöht die Bockzahl. Aber mit so einer ein Kind machen, da wär man sofort raus aus der Clique und das wäre auch nicht förderlich fürs deutsche Erbgut.

„Pokalfinale“ liest sich in einem Rutsch. Ein Schauer jagt den anderen über den Rücken.  Es kann nicht schaden, einen Eimer danebenzustellen, denn es wird einem des öfteren schlecht bei der Lektüre. Aber damit sollte man es halten wie die Protagonisten, wenn Sie zuviel „Suppe“ gekippt haben: Einfach kotzen und weiterlesen. Es lohnt sich. Rüttenauer schafft es, den Roman in der Sprache seiner Darsteller zu halten, was die Beklommenheit steigert, denn es macht klar, daß die Welt, die sich dem Leser da öffnet, die Realität ist. Abgesehen von allem Fußball und fremdenfeindlichen Gedankengut ist es Rüttenauers erklärtes Ziel, ein bestimmtes Männerbild zu zeichnen. Wahrscheinlich ist es dieses Männerbild, das einem manchmal ein Lachen der Verzweiflung aus der Kehle löst. Endlich haben wir ein hervorragend geschriebenes Zeugnis von der dumpfen, hirntoten Welt dieser Menschen, die uns schon viel zu lange auf die Nerven gehen.

Rüttenauer, Andreas: Pokalfinale.
Roman. 2003. 144 S.. Kartoniert. 133gr.
ISBN: 3-935843-24-0, KNO-NR: 12 21 18 81
Verbrecher Verlag
12.00 EUR

BESTELLEN

Dieser Text gefällt Dir?

Kommentar schreiben

Die E-Mail-Adresse wird nicht angezeigt. Felder mit * müssen ausgefüllt werden.

*

*