Tag der Befreiung statt Tag der Einheit

Ein Kommentar von Ulf Schleth

Tag der Befreiung statt Tag der Einheit

Tag der Befreiung statt Tag der Einheit – Foto: Ulf Schleth w/stable diffusion

Am 8. Mai 2025 hatte Berlin frei. Gefeiert wurde damit der 8. Mai 1945, der 80. Jahrestag des Tages der Befreiung Deutschlands vom Nationalsozialismus und das Ende des zweiten Weltkrieges.

Aber war dieser Tag wirklich ein Tag der Befreiung? Wir alle wissen, daß unsere Vorfahren, unsere (Ur-) Großväter und bei manchen auch noch die Väter Nazis waren. Einige sind es noch immer. Und es kommen sogar neue hinzu. Wir wissen, dass der deutsche Faschismus Millionen Opfer gefordert hat. Viele der Deutschen, die dafür die Verantwortung tragen, sind nach Kriegsende mit heiler Haut davongekommen, sogar  zum Tode verurteilte Täter konnten häufig freikommen, später wieder in ihren Berufen arbeiten und frei wirken. Auch nationalsozialistisches und rassistisches Gedankengut ist leider mit Kriegsende nicht gestorben. Also nein – in diesem Sinne war es keine restlose Befreiung vom Nationalsozialismus.

Trotzdem – die Debatte darum, daß man diesen Tag nicht feiern oder vielleicht anders nennen sollte, ist falsch. Befreiung ist genau das, was diesen Tag ausmacht. Er hat vielen die Freiheit geschenkt. Den wenigen Überlebenden in den KZs, Gefängnissen und Arbeitslagern. Denjenigen, die sich weltweit vor den selbsternannten deutschen „Herrenmenschen“ versteckt haben. Denen die im Krieg kämpfen mussten und denen, die noch gestorben wären, hätte er länger gedauert.

Nicht zuletzt haben auch wir unsere Freiheit denen zu verdanken, die gegen die Deutschen gekämpft haben – wir, die Erben, die Folgegenerationen der Täter. Wir dürfen ein Leben in Freiheit genießen. Ein Leben ohne um Leib und Leben fürchten zu müssen, wenn wir keine staatstreue oder nationale Meinung haben. Das darf man feiern. Und man kann es feiern, ohne die Mitverantwortung an den deutschen Verbrechen zu leugnen.

Was man nicht feiern kann ist, daß es schwer fällt zu schreiben „Ein Leben ohne um Leib und Leben fürchten zu müssen, egal wo wir herkommen oder welche Hautfarbe wir haben“. Denn genau das ist Alltag. Rassistische Übergriffe und Vorverurteilung gibt es täglich in Deutschland. Die „Remigration“ und Demokratiefeindlichkeit ist in den Bundestag eingezogen und rechtsnationale Narrative werden von deutschen Medien übernommen.

Es gibt Vorschläge, diesen Tag „Tag der Erinnerung“ oder „Tag der Kapitulation“ zu nennen. Warum? „Erinnern“ ist viel zu schwammig. Erinnern kann man sich auch an die zu Recht gestorbenen Täter. Und „Kapitulation“ klingt nach Zähneknirschen, nach Selbstgerechtigkeit und danach, als hätte es jemals etwas zu „gewinnen“ gegeben. Nein, „Befreiung“ ist schon ganz gut. Lasst uns den Nazis die Freiheit in die Fresse feiern.

Wir haben die Verantwortung dazu beizutragen, daß etwas ähnliches nie wieder passiert, egal wo. Deshalb brauchen wir dringend einen bundesweiten anti-nationalen Feiertag. Einen Tag der uns daran erinnert, wie sinnlos Nationalismus ist. Worin er mündet. Ein Tag, um kommenden Generationen Mut zu machen, sich gegen Nationalismus, Faschismus und Rassismus zur Wehr zu setzen. Ein solcher Tag ist jetzt wichtiger als je zuvor. Auch für jene von uns, die erst nach dem 8. Mai 1945 zu Deutschen geworden sind.

Wenn für die dauerhafte Installation des Tages der Befreiung ein anderer wegfallen müsste, gäbe es auch dafür schon eine Idee: Den „Tag der deutschen Einheit“. Er hätte für die DDR-Bürger ein zweiter „Tag der Befreiung“ werden können. Stattdessen ist es ein sinnloser, nationalistischer Feiertag geworden, an dem die Täter des dritten Reiches und ihre Nachkommen aus beiden Ländern Deutschlandfahnen schwingend feiern, dass sie sich wie eine große, geeinte Nation fühlen dürfen. Oder wenigstens wie eine Illusion davon. Menschen können großartig sein in ihrer Menschlichkeit. Nationen nicht.

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